Förderverein Zeiteninsel
Archäologisches Freilichtmuseum Marburger Land e.V.

, Jürgen Kramß

Geologie trifft Archäologie - Winterwanderung 2022

22. Januar 2022, das Wetter ist nasskalt und das Thema erscheint trocken und speziell zu sein:

Siedlungsschichten in der Weimarer Kiesgrube und Landschaftsspuren in Niederwalgern. Aber die Guides – Bernd Starossek und Manfred Gerhard – sind dafür bekannt, Geologie lebendig, spannend und gleichzeitig äußerst fachkundig zu gestalten. Und so kamen gut 40 Personen zusammen, die zunächst mit Bernd Starossek das aktuell aktive ca. 40 cm tiefe Ausgrabungsgebiet, direkt neben dem Museumsgelände, in Augenschein nahmen. Hier wurden von Archäologen vereinzelt neue bronzezeitliche Spuren und Fundstücke entdeckt. Die Grabungen werden demnächst fortgesetzt und wir bewegen uns gummibestiefelt in das Innere der Kiesgrube, um sie einmal aus gänzlich neuer Perspektive zu sehen: So verraten die Ausbaggerungen in ca. 3 m Meter Tiefe recht genau, wie die Bodenoberfläche und die Landschaft im Spätpaläolithikum in Niederweimar ausgesehen haben. Am Rand der Kiesgrube in ca. 2 m Meter Tiefe entdecken wir eine dünne, schwarzbunte Erdschicht: Lava-Asche des Laacher Vulkans in der Eifel, der vor ca. 13.000 Jahren in einer Heftigkeit ausbrach, dass unsere Gegend stellenweise knietief mit Asche bedeckt wurde. Weiter oben sind Schichten von Lösslehm-Ablagerungen zu sehen und anzufühlen, die hier von der Lahn im Laufe der Jahrtausende herantransportiert und abgelagert wurden. Löss ist ein eiszeitliches Windsediment, das sich durch hunderte und tausende von Jahren andauernde Staubanwehungen an den Talhängen angesammelt hat. Dieses weiche Gestein ist sozusagen die Grundlage unserer nächsten Station auf dem Herchenberg in Niederwalgern. Doch zum Abschied wagen wir noch einen Blick auf den Boden und den kleinen See der Kiesgrube. Hier schauen wir auf erdgeschichtlich beeindruckende ca. 80.000 Jahre hinab.

Durch die Niederwalgerner Hügellandschaft begleitet uns Manfred Gerhard, der zunächst beschreibt, dass an dieser Stelle eine mehrere Meter dicke Lösslehmschicht angeweht ist, die im Mittelalter terrassiert und intensiv landwirtschaftlich genutzt wurde. Die Wälder, wie wir sie heute sehen, gab es damals nicht. Im Sommer 1342 kam es zu einer Naturkatastrophe, die heute noch im wahrsten Sinne des Wortes tiefe Spuren hinterlassen hat: Das Magdalenenhochwasser von 1342. Innerhalb weniger Tage ging hier wie in anderen Teilen Europas ein Starkregen mit 300 Liter Wasser pro Quadratmeter und Tag herunter. Zum Vergleich: Bei der letzten Hochwasserkatastrophe im Landkreis 1984 hatten wir Starkregen mit 50 Liter, beim Ahrtalhochwasser 2021 mit 100 Liter. In Niederwalgern schwemmten diese unvorstellbaren Regenmengen nicht nur Felder und vermutlich Häuser hinweg, sondern bewirkten Erosionsschluchten von bis zu 10 m Tiefe und bis 1000 m Länge. Beim Gang durch diese Schluchten im mittlerweile bewaldeten Hügelgebiet hat man fast das Gefühl durch hessische Canyons zu wandern und kann genau den Weg der Sturzfluten und die zerstörten und nie wieder genutzten Acker-Terrassen erkennen.
Was bleibt von dieser geologischen Wanderung: Für mich ein neuer Blick auf Siedlungs- und Erdschichten, die sich plötzlich in Siedlungs- und ErdGESCHICHTEN wandelten, Respekt vor der Macht der Natur und nicht zuletzt viele gute und anregende Gespräche im Verlauf der Wanderung. Ich freue mich schon jetzt auf die nächste Tour.

Jürgen Kramß